26. September 1983

Am Dienstag voriger Woche, am 26. September, vor vierzig Jahren wurde die uns bekannte Welt zum wiederholten Male wiedergeboren. Stanislaw Petrow, damals Oberstleutnant der Luftverteidigungskräfte der Sowjetunion, verhinderte durch aktives Nichtstun mutmaßlich den Ausbruch des Dritten Weltkrieges und damit den Untergang der Menschheit.

Mitte der 1970er Jahre hatte die Sowjetunion die RSD-10 Atomraketen entwickelt, die im Westen den Namen SS-20 erhielten. Die ballistischen Mittelstreckenraketen, die zum Transport von nuklearen Sprengköpfen geeignet waren und eine mittlere Reichweite hatten, wurden vorzugsweise in den sowjetischen Teilrepubliken Russland, Weißrussland und Ukraine stationiert und hatten damit ein Einzugsgebiet bis Mitteleuropa. Die USA allerdings und damit die NATO waren besorgt darüber, dass die SS-20 Raketen im Falle eines Falles zu Interkontinental-Waffen umfunktioniert werden konnten und damit in der Lage sein würden, amerikanisches Terrain zu erreichen.
Der NATO-Doppelbeschluss und die damit einhergehende Stationierung amerikanischer Pershing II Atomraketen in Westeuropa Anfang der 1980er Jahre waren die unmittelbare Antwort.
Es war eine Zeit des ausgeprägten Misstrauens zwischen den Blöcken und den beiden Supermächten. Es gab Geheimdienstberichte in den USA, dass die sowjetische Führung unmittelbar befürchtete, die NATO könne eine Invasion auf ihr Gebiet vorbereiten.
Umgekehrt war US-Präsident Reagan ebenso paranoid.

In dieser angespannten Situation vor nunmehr vierzig Jahren war der 44 Jahre alte Stanislaw Petrow Offizier in der Kommandozentrale der Satellitenüberwachungsanlage der Luftverteidigungsstreitkräfte in Serpuchow etwa 100 Kilometer südlich von Moskau. In der Nacht vom 25. auf den 26.09.1983 war er Diensthabender der Einsatzstelle und musste über das Frühwarnnetz die Aktivitäten beobachten und eventuell ankommende Raketen von Feindesland ausmachen und melden.
Die Schicht begann ruhig um 22.00 Uhr, man stellte sich auf eine ereignislose Nacht ein. Fünf Satelliten hatten permanent das Gebiet der USA im Blick, scannten die militärischen Anlagen, immer auf der Suche nach verdächtigen Bewegungen.
Gegen 0:15 Uhr dann plötzlich Alarm, das System hat auffällige Veränderungen ausgemacht, die Sirenen schrillen, die Wachmannschaften waren aufgeschreckt: Der Klassenfeind hat Interkontinentalraketen losgeschickt. Petrow ist Befehlshabender, er muss entscheiden: Ist der Alarm echt, dann muss er seine Vorgesetzten wecken und sie davon in Kenntnis setzen. Er weiß, was das heißt, die Vorwarnzeit beträgt keine halbe Stunde. Innerhalb von dreißig Minuten wird die Sowjetunion handeln, sie wird Gegenmaßnahmen ergreifen.
Konkret wird der Zweitschlag eingeleitet werden, jede Menge Interkontinentalraketen atomar bestückt werden Richtung NATO-Gebiet abgefeuert. Der Dritte Weltkrieg – verheerend, atomar und menschheitsauslöschend.
Oder Petrow meldet den Alarm nicht weiter, wartet ab, ob es sich eventuell um einen Fehler handeln könnte (er weiß, die Anlage ist gerade ein halbes Jahr in Betrieb, eine Panne war nicht auszuschließen). Doch was bedeutet das für ihn persönlich? Wie würden seine Vorgesetzten reagieren, wenn er versagte? Kann man dem Klassenfeind überhaupt etwas durchgehen lassen?

Dies waren, im Rückblick gesehen, die 15 Minuten Ruhm des kleinen Oberstleutnants Stanislaw Petrow, der sich über die Ideologie der Konfrontation hinwegsetzte, der in Kauf nahm, verachtet zu werden von seiner Gruppe, strafrechtliche Konsequenzen fürchten musste, bis hin zur Verbannung.
Er behielt kühlen Kopf, überlegte sich, dass es Ungereimtheiten gab. Warum sollten die USA von nur einem Punkt aus Raketen starten, wenn sie die Sowjetunion vernichten wollten? Schickt man dann nicht Marschflugkörper von vielen verschiedenen Stellen aus, um größtmöglichen Schaden anzurichten?

Er wartete ab, meldete den Alarm nicht weiter, und es stellte sich heraus, dass tatsächlich die Ursache ein Computerfehler gewesen war. Der Rechner hatte versehentlich Sonnenspiegelungen auf Wolken als Raketenstarts gewertet, dieser Irrtum wiederholte sich noch mehrere Male, doch Petrow meldete schließlich einen Fehlalarm an seine Vorgesetzten.
Im Nachgang wurde er für sein Verhalten nicht belohnt, zu viele Offiziere hätten eigene Fehler zugeben müssen.
Der ganze Vorfall wurde erst in den 1990er Jahren publik gemacht und Petrow bekam die ihm gebührende Anerkennung für sein Verhalten.

Was kann man als Lehre aus diesem Vorfall und das Verhalten des Militärs, des Kommunisten mutmaßlich, ziehen?
Eins: Wir sind ständig näher an einem Fiasko, als wir uns das eingestehen mögen, so dass wir ohne dies Wissen halbwegs anständig weiterleben können. Trotzdem sollten wir uns der Gefahr stets bewusst sein.

Zwei: Es gibt immer wieder Menschen, die sich gegen das System auflehnen, wenn es denn wirklich vonnöten ist. Und auch gegen inneren Widerstand und die Erwartung auf Repressionen.
Man muss nicht immer gemocht werden von der Mehrheit.

16. September 2023

Was heute in Amerika passiert, so sagt man, wird in zehn, elf Jahren auch bei uns Einzug gehalten haben. Das heißt, wie in einer Zeitmaschine kann man, wenn man über den Ozean blickt, sehen, wie es um unser Land in einer Dekade Jahren bestellt ist oder sein könnte.
Oder aber, man guckt sich an, wie die Amerikaner 2012, 2013 miteinander umgegangen sind, und kann erkennen, wie es um unser Land in diesen Tagen bestellt ist.

So pauschal und einfach natürlich kann man das nicht sagen, es geht immer um Tendenzen, Strömungen und Trends. Aber ein klein wenig nach drüben zu schauen, ist schon immer erhellend gewesen.

Wenn wir den Maßstab Amerika nehmen (wir könnten uns auch Großbritannien, Frankreich, Italien anschauen), dann wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten recht ungemütlich werden in unserer Gesellschaft. Teilweise ist es schon so, dass es kaum auszuhalten ist, die Spaltung, der Riss, der Abgrund, der sich durch unsere Reihen zieht, ist unübersehbar. Es gibt Themen, die man schon jetzt nicht mehr ansprechen mag im Bekanntenkreis, in der Familie, der Nachbarschaft, dem Kollegenkreis, weil man weiß, wenn man sich zu sehr aus der Deckung wagt, sprich wenn man seine Meinung zu einem bestimmten Thema kundtut, dann kann es sein, dass das Gespräch, der Klön übern Zaun oder am Küchentisch ins Stocken gerät, wenn nicht sogar abbricht. Nicht selten konnte ich erkennen, wie die Augen des Gegenübers plötzlich starr wurden, der Blick seltsam leer. Dann heißt es, schnell über das Wetter reden oder den Garten (wobei das Wetter vielleicht auch nicht unbedingt optimaler Gesprächsinhalt ist, denn von dort ist es nur ein kleiner Schritt zum großen Reizthema KLIMA!)
Was ist passiert, dass wir uns gegenseitig nicht mehr die eigene Meinung zugestehen? Warum kann ich es kaum aushalten, wenn mein Nachbar eine andere Einstellung zu bestimmten Fragen hat, als ich selbst. Wenn ich weiß, dass meine Meinung die richtige ist, dass andere gar nicht richtig sein können, weshalb macht mich das dann zornig.
(Natürlich ist das alles nur eine Tendenz, die man beobachten kann. Es gibt Ausnahmen, es gibt krasse Fälle, in den meisten Angelegenheiten kann man die Entwicklung nurmehr erahnen. Und selbstverständlich funktioniert dieses System in beiden Richtungen, nach links wie nach rechts, konservativ oder progressiv.)

Selbstverständlich nehme ich mich nicht aus davon, es geht mir ähnlich, wie vielen von uns. Ich kann es kaum ertragen, wenn Menschen den Klimawandel relativieren, gar vollständig leugnen. Ich zucke zusammen, wenn die Rede ist von der »dümmsten Regierung, die Deutschland je hatte« oder vom »Gender-Terror«. Andere Meinungen sind schwer auszuhalten, doch es scheint, als hätte das früher besser geklappt.
Denn an diesem Punkt wäre es nötig, sich auszutauschen, auf Augenhöhe, interessiert für die Argumente des Gegenübers, vielleicht auch, um die Denkweise des Anderen zu erfassen, die eigene zu überprüfen und daraufhin abzuklopfen, wie sehr sie anderen Erklärungen standhält. Es versteht sich, dass die Meinung des Kontrahenten mit vernünftigen Begründungen unterfüttert ist, reine Ga-Ga-Ansichten muss niemand akzeptieren, wobei auch hier wieder Streitpunkt ist, wo hört eine sinnvolle Argumentation auf. Auch das muss Gegenstand von Diskussionen sein. (wobei es auch logisch ist, dass wir in der Debatte immer auch auf basale Selbstverständlichkeiten zurückgreifen müssen)
Doch was ich mehr und mehr erfahre, ist der Unwille dazu, seine eigene Meinung zu reflektieren, selbst daherzugehen und die Gründe für seinen Standpunkt abzuklopfen, auf Richtigkeit, auf Wahrheit und Plausibilität. Man richtet sich ein in seine Vorurteile, in vorgefasste Meinungen, in Denkmuster, die man nicht aufbrechen will.
Das kann dazu führen, dass Kollegen kaum noch miteinander reden, und wenn doch, dann nur in Chiffren, die sich allzu schnell abnutzen, so dass ein Dialog nicht selten grotesk wirkt und surreal. Man weicht der anderen Meinung aus, man sieht den Anderen als Rivalen, womöglich als Feind. Je tiefer man sich dann in seine Schützengräben hinein wühlt, desto schwerer ist es natürlich, da wieder herauszukommen, es erfordert eine enorme Selbstüberwindung, sehr oft (viel zu oft) gelingt das überhaupt nicht mehr.


Woran liegt das? Woher kommt das bei uns, woher auf der ganzen Welt? Ich denke schon, dass der Siegeszug des Internets einen Betrag dazu geliefert hat, dass wir uns in eine Gesellschaft der starren Meinungen hineinbewegen. Die sogenannten »Filterblasen« sind allgegenwärtig, hatte man früher für seine Meinung wenige Anhänger, findet man in heutigen Tagen für jeden Standpunkt das passende Forum, Unterstützer, Gleichgesinnte. Und immer öfter geschieht es dann, dass der Rezipient sich einrichtet in diesem Forum, denn in dieser Gruppe ist es schön warm und gemütlich und Widerspruch ist kaum zu erwarten. Der folgende Prozess ist dann ein sich selbst verstärkender. Man festigt seine Meinung immer ärger, je länger man sich in »seiner Gruppe« aufhält, man verbringt mehr und mehr Zeit in Foren, welche die eigene Meinung bestätigen.


Wie geht es weiter? Ich habe keine guten Ahnungen. Je gefestigter die Meinungen, desto radikaler die Maßnahmen, sie durchzusetzen. Der Begriff des »stochastischen Terroristen« macht in den letzten Jahren immer mehr die Runde. »lonesome wolf«, der einsame Krieger, der sich vor dem Rechner weiter und weiter radikalisiert, schließlich zur Tat schreitet, in dem Glauben, von den Mitgliedern seiner Gruppe Unterstützung zu erfahren. Ich fürchte, wir werden mehr von diesen Taten sehen.
Ich hoffe, ich irre mich.

Drei Worte über den Klimawandel (oder vier)

Reden wir über den Klimawandel oder, wie manche ihn nennen, die Klimakrise oder noch schlimmer die Klimakatastrophe.
Was wird uns erwarten, was bringt die Zukunft?

Der Verfasser dieser Zeilen hat oft den Eindruck, dass es genügend Menschen gibt, die sich eine Zukunft, die sich im Wesentlichen von der Gegenwart unterscheidet, schlichtweg nicht vorstellen können. Sprich, es geht uns allen so, dass wir uns sehr schlecht vor Augen halten können, wie sich der Ist-Zustand einmal grundlegend ändern könnte. Wir gehen davon aus, dass die Welt statisch ist, die Situation von Natur aus stabil. Weil wir sonst nicht arbeiten können, weil die Rechenleistung, die unser Gehirn vollbringen müsste, wenn wir uns an die neuen Umstände anpassten, enorm wären und die Ressourcen begrenzt sind.
Kurz: Der Mensch ist zu faul, sich vorzustellen, dass nicht immer alles so bleibt, wie es ist.

Aber, wie wird es werden? Wird sich tatsächlich nichts ändern, bleibt alles, wie es ist?
 
Am Arsch – natürlich! Leben ist Veränderung, nur wenn wir uns verändern, überleben wir und unsere Umwelt ändert sich ständig. In einem fort. Entscheidend ist nur die Geschwindigkeit der Veränderung, damit sie uns auffällt. Wenn sich die Welt in kleinen, genügsamen Schritten ändert, sich wandelt und transformiert, dann fällt es uns leicht, mitzuhalten. Vielmehr werden uns diese Veränderungen gar nicht recht zu Bewusstsein kommen, wir leben mit ihnen und passen uns den neuen Faktoren an.
Doch wenn es in Riesenschritten Richtung Veränderung geht, wenn sich die Dinge auch noch in Massen ändern, wenn es Menschen gibt, die diese Veränderungen noch forcieren, dann wird uns unangenehm, wir werden schwindelig.

Das Klima ändert sich ständig. In den Eisbohrkernen der Paläo-Klimatologen oder auch in den Jahresringen besonders alter Bäume kann man genau ablesen, welches Wetter in einzelnen Jahren herrschte und kann so Rückschlüsse ziehen auf das Klima der jeweiligen Region. Und man erkennt: Das Klima ändert sich ständig, es gibt Warm- und Kaltzeiten, die durchschnittliche Regenmenge in einem Areal variiert, es entstehen Wüsten und verschwinden wieder.
Allerdings passiert das alles in kleinen Schritten und gemächlich über lange Zeiträume hinweg (mit Ausreißern, die, so scheint es, nur dazu da sind, den Klimaleugnern als Gegenbeispiel zu dienen).
Und diese Zeiträume, in denen das Klima auf der Erde sich änderte, reichten aus, um auf die veränderten Bedingungen angemessen zu reagieren, die Wandlung der Umwelt vollzieht sich so langsam, dass es kaum wahrzunehmen war.

Doch jetzt sind wir an dem Punkt, dass sich das Klima mit Macht ändern wird und sich auch jetzt schon teilweise ändert. Dieser Wechsel vollzieht sich in Riesenschritten, und zwar in solch großen, dass die vorhandene Infrastruktur darauf nicht adäquat reagieren und darüber hinaus, diese selbst nicht oder nur teilweise für die neuen Umstände fit gemacht werden kann.
Wir können unseren Lebensstandard nicht mehr halten, andere Regionen verlieren schlicht ihre Lebensgrundlagen (siehe ganz kurz nur nach Spanien, Portugal, wo einzelne Regionen unter massiven Dürren leiden und die Wüstenbildung [wir reden über Europa!] schon jetzt eingesetzt hat). Dass sich diese Situationen, die ja in Zukunft beileibe keine Einzelfälle mehr sein werden, auf die ganze Welt auswirken werden, kann nur jedem allzu klar sein. Wenn in Äquator-Nähe immer mehr Gebiete dazukommen, die sich lebensfeindlich und tödlich präsentieren, dann wird es verstärkt zu Wanderungsbewegungen, zu Migration kommen, das Tischtuch wird kleiner, ganz zu schweigen von den Sachen, die darauf liegen.

Fälschlicherweise wird oft von der Klimarettung gesprochen. Das ist natürlich hanebüchener Unsinn, das Klima muss nicht gerettet werden, das existiert, auch wenn es den Menschen nicht mehr gibt. Ebenso wenig müssen wir die Umwelt retten oder die Natur – alles Dinge, die auch ohne den Menschen bestehen, in welcher Form auch immer. Und auch die Welt wird es geben, wenn der seltsame Zweibeiner, der sich für die Krone der Schöpfung hält, verschwunden ist.
Bei allen Rettungsaktionen, die wir starten und auch starten müssen, geht es einzig und allein um uns, den Homo sapiens sapiens, und unsere Lebensumwelt. Die Umwelt, die wir brauchen, um zu überleben, in vernünftiger, akzeptabler Weise. Es geht um Verzicht! Was kaum jemand den Menschen erzählen mag, was schon gar kein Entscheidungsträger in diesem Land in den Mund zu nehmen wagt, ist eine unumstößliche Tatsache: Wir werden nicht mehr in dem Maße konsumieren können, wir werden nicht mehr so viel reisen, so sehr der Mobilität frönen und unseren Vergnügungen und Ablenkungen vom wahrhaften Leben nachgehen können wie bisher.

Entweder geben wir freiwillig etwas von unserem Wohlstand ab, verzichten moderat und kontrolliert, oder die Umwelt tut das für uns, auf die eine oder andere schmerzhafte Weise. Wie gesagt, Spanien ächzt jetzt schon unter einer Dürre, die natürlich dazu führen wird (Wassermangel), dass Tomaten, Gurken, Obst im Winter bei uns erheblich teurer werden. Wir werden uns darauf einstellen müssen, liebgewonnene Lebensweisen zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren.
Menschen werden an unsere Tür klopfen, deren Lebensumfeld zu einem Todesumfeld geworden ist, in Zahlen, die das Herz der AfD hören schlagen lassen werden. Die ja selbst zugegebenermaßen vom Elend der Republik lebt.
Gegenden in unserem Land werden, wenn nicht unbewohnbar (das dauert wahrscheinlich noch etwas) so zumindest unbestellbar im Sinne der Landwirtschaft sein, was natürlich (und in diesem Falle wirklich und wahrhaftig) an der Nahrungsmittelsicherheit kratzen wird.
Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt (wobei »kriegerische Auseinandersetzung« fast wie ein Euphemismus klingt, man kann auch von Krieg, Gemetzel, Töten und Rauben sprechen) wegen der Verschiebung der Temperaturen und Lebensbedingungen, ziemlich hoch (https://www.fluter.de/klimakonflikte-krieg-beispiel-regionen). Man geht davon aus, dass jetzt schon ein gewisser Prozentsatz von bewaffneten Konflikten darauf zurückzuführen ist, dass Wasser und andere Ressourcen knapp werden.

Werden wir uns ändern? Nehmen wir den Kampf auf gegen unsere eigenen verschwenderischen Lebensweisen und Bequemlichkeiten?
Im Inneren weiß fast jeder, was falsch ist, überflüssig und schädlich, doch so viele sind noch immer der Meinung, sie hätten ein Recht auf ein Lebensmodell, das letztlich auf Ausbeutung ganz vieler (meist weit entfernter) Bestände beruht.

Und die zunehmende Infantilisierung der Gesellschaft (es wird später ganz sicher noch einmal drüber zu reden sein) und der immer libertärer ausgelegte Freiheitsbegriff (auch hierüber werden wir noch reden müssen) lassen für die Zukunft wirklich nichts Gutes ahnen.
Die Politik ihrerseits tut kaum etwas anderes, als die Verkindlichung ihres Wahlvolkes voranzutreiben: Wo Klartext geredet werden müsste, wird die Seele mit Tankrabatte gestreichelt, wo jemand festen Schrittes vorangehen sollte, wenden sich die meisten Politiker stramm rückwärts – wir können weitermachen wie bisher, wir brauchen uns nicht zu ändern.

Das eigentlich lässt jede Hoffnung auf ein glimpfliches Ausgehen dieser Krise verlöschen.

 

 

 

13.12.22

Verrückte Zeiten

 

Was haben wir für Krisen durchgemacht in den letzten Jahren. Was haben wir für Umbrüche zu bewältigen, in diesen Zeiten, gleichzeitig und scheinbar immer mächtiger.
Ach, möchte es doch wieder so schön sein, so heimelig wie in früheren Zeiten; weißt du noch, damals?

Nein, das ist vorbei. Es wird nie mehr so »schön« sein wie damals, als man noch ungestört Autofahren konnte, als man Fleisch aß, soviel man wollte. Als man nicht Platz machen musste für jede Minderheit, die sich zu Wort meldet.
Damals, als wir noch Zigeunerschnitzel und Negerküsse hatten, und uns nicht dafür zu schämen brauchten, wenn wir sie so nannten. Das waren doch wohl Negerküsse, oder was. Sollten doch die Neger davon halten, was sie wollen!
Als mit dem Bäcker noch Bäckerin und Bäcker gemeint war und der Arzt war gleichzeitig Ärztin, als wir das nicht extra noch so nennen mussten. Mit einem Sternchen* oder einer Pause klarmachen, dass alle gemeint sind. Schwule, Lesben, wer nicht noch alles.
Ach wie schön war’s doch damals, als es das alles noch nicht gab.

Wann? Wie? War es wirklich schön? Und wenn ja, für wen war schön? Für die Ärztin, die mitgemeint war, aber nicht genannt wurde? Für das Schwein, das nur gegessen wurde, und um dessen Lebensumstände sich niemand kümmerte?
Für den armen Kerl in Bangladesch, der mein T-Shirt produziert und kaum vom Lohn leben kann, den Arbeiter in China, der fürs I-Phone schuftet, vielleicht im Arbeitslager?

Und, und, und. Dabei haben wir die Umwelt noch gar nicht genannt, die Biodiversität, Klima. Es gibt so viele Faktoren, auf denen unser Wohlstand beruht, warum glauben wir nur, dass diese Faktoren für immer existieren? Dass immer alles so weitergeht wie bisher, so wie es nie war?

Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben. Das gilt nicht nur für Sportbegeisterte, in diesem Fall ist gemeint: Leben ist immer Veränderung. Und aus der Evolutionsgeschichte wissen wir, wer sich nicht auf Veränderungen seiner Umwelt einzustellen in der Lage ist, der ist letztlich nicht überlebensfähig.

Es geht also darum, wie wir auf Veränderung reagieren, wie wir sie annehmen, ob wir in der Lage sind, sie anzunehmen. Denn eines ist doch gewiss: Wenn wir uns nicht ändern, unseren Lebensstil, unser Verhalten, dann ändert sich die Umwelt dergestalt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, uns an die veränderten Umstände anzupassen.

Es ist faszinierend zu sehen, wie Menschen auf Veränderung reagieren, oder besser noch, auf die Botschafter dieser Veränderung.
Wenn Menschen sich festkleben auf Straßen, die dazu gemacht sind, dass Autos darauf herumfahren, dann sehen wir das als Straftat an. Ob es eine moralische Straftat ist, ist damit noch nicht erwiesen, denn die Straße ist öffentliches Gelände, wer hat verfügt, dass ich nur Autofahren muss darauf? (Ich weiß, es gibt die Straßenverkehrsordnung, die das regelt; aber auch diese ist menschengemacht).
Doch das sind Debatten, die sind müßig, viel interessanter sind die Reaktionen auf das Verhalten dieser »Klima-Terroristen«.
Mir kommt es so vor, als wenn viele Leute, die so unangemessen reagieren, die so sehr so wütend sind, so unbeherrscht (nicht die, die in der jeweiligen Situation leiden – da ist ganz viel Affekt dabei; aber die öffentlichen Äußerungen, die man über das Thema hört, sind auch vielfach überspannt und Null zielführend), im Grunde ihres Herzens wissen, dass sie auf Kosten anderer ihren Wohlstand genießen. Sie ahnen, dass die Leute, die ihnen die Botschaft überbringen (nicht nur die [sich strafbar machenden] »Klimakleber«, auch Fridays for Future u.ä. Gruppierungen), nicht lügen, dass sie zwar eine hässliche, nichtsdestotrotz eine wahre Botschaft überbringen.

Was folgt daraus?
Vielleicht sollten wir alle etwas gelassener miteinander umgehen, nicht dem anderen immer die schlechtesten Motive unterstellen und uns hin und wieder in unser Gegenüber, in seine Motivationen hineinzudenken versuchen.
Die Krisen werden dadurch nicht weniger und auch nicht kleiner, aber wir können sie gemeinsam bewältigen.

08.01.22

Freiheit!

 

Freiheit ist ein ziemlich großes Wort, zumal eines, das jeder mit seinem eigenen Inhalt füllen kann. Am allerbesten kann man dann noch, je nach Anlass und erwünschtem Ergebnis, die Inhalte und Motive dieses Begriffes ändern und für sich und die eigenen Ziele instrumentalisieren.

Es ist doch so: Wenn wir in der Gesellschaft über einen Begriff diskutieren, über eine Sache, einen Vorgang, ein Ding, dann muss doch zuvorderst Konsens herrschen über den Begriff selber und seine Bedeutung. Wenn wir wollen, dass Segelboote nur von Fachleuten gesteuert werden (um willkürlich einen Begriff zu nehmen), dann müssen wir für uns definieren:
1. Was ist ein Segelboot.
2. Was ist ein Fachmann/ Fachfrau.

Das ist in vielerlei Vorschriften der Fall, in Gesetzen, anderen Regelwerken. Aber wenn wir in Talkshows, den sozialen Medien oder sonst wo in der Öffentlichkeit über verschiedenerlei Dinge diskutieren, dann herrscht ganz oft nicht einmal Einigkeit darüber, worüber wir reden. Im Gegenteil, manchmal scheint es sogar, als herrsche eine morbide Lust daran, dem anderen zu unterstellen, dass er mit falschen Begriffsdefinitionen arbeitet.

Man einigt sich nicht, man versucht es nicht einmal. Doch das wäre bitternötig, gerade im Angesicht eines so vielschichtigen Terminus wie »Freiheit«. Welche Art Freiheit meinen wir? Sprechen wir von der Freiheit von irgendetwas (Freiheit von Schmerzen zum Beispiel oder von Steuern) oder von der Freiheit zu irgendetwas (zum Beispiel die Freiheit zum Reisen, die Freiheit zu reden oder mich mit anderen zu versammeln?).

Es gibt genauso viele Definitionen von Freiheit, wie es Meinungen gibt. Meine Spitzenreiterin in Sachen Freiheitsdefinition ist die von Hegel ins große Spiel gebrachte: »Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.« Die zudem von mehreren Philosophen variiert wurde.
Das hieße also, wir können alles tun, wirklich a l l e s, worauf uns die Lust packt.
Wenn wir uns nur der Zwänge bewusst werden, innerhalb derer Grenzen wir uns bewegen.

Ich meine, niemand kann ermessen, wie gern ich den Mond einmal besuchen würde, auf seiner steinernen Oberfläche spazieren und von dort einfach die Erde beobachten. Oder andere Planeten anfliegen, andere Galaxien, Universen. Doch vermutlich sind wir uns einig, dass ich nicht einmal das erste der genannten Ziele innerhalb meiner Lebensspanne erreichen werde. Objektive Gründe sprechen dagegen. Hier sind der Freiheit Grenzen gesetzt.

Ich werde niemals einen Menschen umbringen (hoffentlich, sagen wir mal, man weiß ja nie!), auch wenn ich gar kein Verlangen danach habe (jedenfalls nicht in der allermeisten Zeit). Doch wenn dem so wäre, wenn ich den Willen hätte, einen Menschen zu töten, hätte ich die Freiheit, diesem, meinem Willen nachzugeben?
Objektive und subjektive Gründe sprechen dagegen. Gewichtige Gründe, so dass ich wahrscheinlich Abstand nehme von diesem Vorhaben.
(Der Mann, der vor drei Monaten in Idar Oberstein den Angestellten einer Tankstelle erschoss, hatte für sich entschieden, dass keine Gründe gegen einen Mord sprechen; noch ist die Anklage nicht erhoben, doch in nicht allzu ferner Zukunft wird er sich für die Tat verantworten müssen und die Gesellschaft wird Antwort auf die Frage geben, ob und welche Gründe es gegen die Ausübung seiner Freiheit gab.)

Man muss sich also der Umstände, die der eigenen unbegrenzten Freiheit entgegenstehen, bewusst werden, man muss sich mit ihnen auseinandersetzen und aktiv darüber entscheiden.

Und wenn ich die Alternative wähle, mich nicht impfen zu lassen (auch eine Art Freiheit), dann muss ich diese Entscheidung begründen. Denn mit der Nicht-Impfung greife ich natürlich aktiv in die Freiheit anderer ein, auch wenn das nicht unbedingt von jedem so gesehen werden will. Alles Tun und alles Lassen von meiner Seite hat einen Einfluss auf andere Leben, auf das Dasein allgemein. Das zu akzeptieren ist der erste Schritt zur wirklichen Freiheit.

Und um den Einfluss, der von jedem einzelnen ausgeht, abzustecken und zu bewerten, wird kein Weg daran vorbeiführen, sachlich, vernünftig und emphatisch miteinander zu reden.

Immerhin ein guter Vorsatz fürs Neue Jahr!

 

 

 

 

 

 

01.01.22

Auf ein Neues!

Eine neue Zahl am Ende des Datumstempels. Wir nähern uns – wenigstens dem Gefühl nach – immer mehr der Zukunft, der von damals, wie die Leute in der Vergangenheit darüber dachten.
Der Film »Soylent Green« aus dem Jahr 1973 mit Charlton Heston, der fünf Jahre zuvor ebenfalls in einem Science Fiction Film (Planet der Affen) mitgewirkt hatte, erschien in Deutschland unter dem Titel »Jahr 2022 – die überleben wollen«. Er handelte von Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Ressourcen- und Lebensmittelknappheit und stellte somit eine der ersten Dystopien der noch jungen Ökobewegung dar.
In dem Film kommt der von Heston dargestellte Polizist einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur und enthüllt damit eine Zukunft, wie man sie sich in den Siebzigern schwärzer kaum ausmalen konnte.

Nachdem wir dann »1984« halbwegs unbeschadet überstanden haben, »2001« auch keine »Odyssee im Weltraum« stattfand (wenigstens keine menschliche), »2010« schon gar kein Jahr war, »in dem wir Kontakt aufnehmen«, wird sich 2022 auch nicht eins zu eins mit dem 1973 dargestellten Szenarion decken.
Die Ängste haben sich verlagert, Technologien wurden erschaffen (oder auch nicht) und Gesellschaften haben sich weiterentwickelt (ja, auch hier: oder auch nicht) – die Welt hat sich anders entwickelt, als gedacht.
Jedoch die Tendenz ist gleich geblieben.

Ein Jahr vor der Premiere des Films »Jahr 2022 – die überleben wollen«, erschien 1972 die Studie »Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit«, eine Studie über die Lage und vor allem die Zukunft der globalen Wirtschaft.
In Auftrag gegeben wurde die Studie damals vom »Club of Rome«, einer gemeinnützigen Organisation von Experten verschiedenster Fachrichtungen, die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt. Erarbeitet wurde sie vom MIT, dem »Massachusetts-Institut für Technologie« und finanziert mit immerhin einer Million Euro von der »VolkswagenStiftung«.
In den Ergebnissen ging man schon damals davon aus, dass die beiden Stränge individueller Verbrauch und Konsum sowie Ressourcen und vorhandene Mittel auf dem Planeten Erde sich immer weiter auseinander bewegen würden, wenn nicht (damals schon!) ein Umdenken stattfinden würde.
Über die Jahre wurde der Bericht immer wieder aktualisiert, 1992 zum Beispiel in »Die neuen Grenzen des Wachstums«, 2004 das »Update nach 30 Jahren«, 2012 »Nach 40 Jahren« und schließlich 2016 mit dem Bericht »Ein Prozent ist genug«.

Immer wieder ist in den Papieren von Wachstum die Rede, Ressourcenverbrauch und Verantwortung. Im 2016er Bericht sind unter anderem die Vorschläge zu finden:

-    Verkürzung der Jahresarbeitszeit
-    Anhebung des Renteneintrittsalters (was natürlich eine individuelle Regelung erforderlich macht)
-    Erhöhung der Steuern von Unternehmen und Reichen
-    Besteuerung fossiler Brennstoffe und Verlagerung von der Einkommensbesteuerung hin zur Besteuerung von Emissionen und Rohstoffverbrauch
-    Förderung kleinerer Familien zwecks Geburtenkontrolle (wobei die Betonung auf Förderung liegt)
-    Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens für Personen, die davon abhängig sind.

Man kann zu den Vorschlägen stehen, wie man will, es sind Vorschläge und es lohnt, wenigstens drüber zu diskutieren.
Gerade zu Neujahr, dem Tag, an dem man vieles besser machen will, könnte man sein eigenes Lebensmodell gerne mal auf den Prüfstand stellen – sind alle Ansprüche, die ich so täglich habe und die mir stets und meist in hinreichendem Maße gewährt werden, tatsächlich gerechtfertigt im Angesicht einer vielschichtigen Krisenlage?
Ist das tägliche MehrMehrMehr in einer Welt, in der immer noch rund 690 Millionen Menschen täglich Hunger leiden müssen (Quelle: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/2020/un-report-nahrungssicherheit-hunger/221914), eigentlich noch legitim?

Denn dass wir alle mit drin hängen im großen Weltgeschehen, dass wir Individuen ursächlich für viele der Krisen auf dem Planeten verantwortlich sind, das sagt schon der 1972er Bericht unmissverständlich.
Die Lebensspanne des Einzelnen ist nicht identisch mit der Zeitachse der Wirkungen seines Lebens. Will heißen: So wie wir heute leben, das hat unverrückbare Auswirkungen bis in Zeiten hinein, in denen man sich nicht einmal mehr unserer Namen erinnern wird.

Exakt das hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil gemeint über die Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz. Da in dem Gesetz lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionsverringerung vorgesehen sind, würden die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und damit zulasten der jüngeren Generation verschoben, so die Richter. (Zitat: https://www.tagesschau.de/inland/klimaschutzgesetz-bundesverfassungsgericht-101.html)

Man kann ja wenigstens am ersten Tag des Jahres darüber nachdenken, es sind ja 364 übrig um weiterzumachen wie bisher.

Gesundes Neues an alle und Prosit!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

23.03.2021

Ein Aufruf und wie ich reagiere

 

Folgender Aufruf wurde am Samstag in der Prignitz gestartet:

 

 

Es geht um Masken, Freiheit, Einschränkungen.

Ich habe eine Nachricht daraufhin verfasst, sie lautet wie folgt:

 

Sehr geehrter Herr Podiebrad!
Mir ist bewusst, dass Sie in diesen Tagen jede Menge Nachrichten bekommen werden. Sie werden Zuspruch erhalten, mutmachende Zuschriften, aber auch Ablehnung, vielleicht sogar Beschimpfungen (ach, ganz sicher werden Sie Hassmails empfangen, leider bin ich mir ziemlich sicher darüber).
Womöglich finden Sie dennoch die eine oder andere Minute, diese Nachricht zu lesen. Eventuell werden Sie sie sogar ernst nehmen und meine Argumente als solche akzeptieren.

Ich habe von Ihrer Aktion aus der Tagespresse erfahren, ich habe mich erkundigt und bin auf die von Ihnen erstellte Seite »Frühling in der Prignitz« gegangen; mittlerweile sind ja schon eine große Menge Unterschriften eingegangen, die genau das unterstützen, was Sie fordern.
Doch was fordern Sie?

Ich bin der Meinung, dass Sie oberflächlich einen wichtigen Beitrag leisten für die Akzeptanz und das Funktionieren unserer Demokratie.
Demokratie lebt vom Streiten, von der Skepsis, vom Widerspruch. Wenn es keinen Widerspruch gäbe, wo wären wir da? In der Diktatur, natürlich.
Dass es Widerspruch (ohne Repressalien, aber nicht ohne Widerrede!) gibt, wäre zumindest ein Anzeichen dafür, dass wir in einer lebendigen Demokratie lebten.
Sie geben Widerspruch, zeigen Skepsis gegenüber den Maßnahmen, welche die Politik eingeleitet hat. Gut so! Denn niemand ist vollkommen, wir alle machen Fehler und Fehler werden vermieden durch Diskussionen.

Was ich aber auf Ihrer Seite vermisse, ist die Diskussion. Es gibt keine Möglichkeit, öffentlich meine Meinung zu sagen, meinen Widerspruch zu Ihrer Meinung kundzutun und zu zeigen, dass ich nicht in allen Punkten mit Ihnen übereinstimme.
Ich kann auch nicht mitteilen, dass ich Ihre Positionen vollständig ablehne. Ich kann nur vollständig zustimmen, indem ich unterschreibe.
Das finde ich wirklich unbefriedigend.

Kann ich Ihnen meine Meinung zu diesem Aufruf sagen, haben Sie schon genug von Gegenargumenten, von anderen Auffassungen und Ansichten? Oder gelangen (siehe oben) nur undifferenzierte, polterige Nachrichten in ihren Briefkasten?

Ich hoffe nicht, denn ich bin der Meinung (wieder siehe oben), dass wir uns austauschen müssen, in der Prignitz, in Deutschland, global.
Wir müssen lernen, respektvoll miteinander umzugehen, dem anderen zuzuhören (was nicht allein heißt, ihn ausreden zu lassen!) und wir müssen die Argumente der Gegenseite (egal, wie konträr sie zur eigenen Meinung stehen) anhören, gewichten und, wenn nötig, mit Gegenargumenten entkräften.
Dabei ist es unbedingt notwendig, dem Gegenüber den Respekt zu zollen, den wir auch von ihm fordern.
Ich hoffe also auf ein vielleicht offenes Ohr von Ihnen.

Der erste Satz Ihrer Resolution lautet: Wir glauben nicht an eine Verschwörung.
Einerseits ist es schade, dass man in diesem Land darauf hinweisen muss, dass man nicht an eine Verschwörung glaubt, weil man Angst hat, in eine Ecke gestellt zu werden, in die man nicht zu gehören meint.
Auf der anderen Seite schlagen Sie natürlich einen Pflock ein mit diesem Satz. Er steht prominent an erster Stelle, quasi wie ein Fähnchen ganz obenauf, das weithin zu sehen ist.
Verschwörung. Sie positionieren sich damit selbst in eine Ecke, in die Sie nicht wollen. Denn wenn ich jemanden sagen höre: »Ich bin kein Verschwörungstheoretiker!«, dann ist der Ton für den Rest des Gespräches vorgegeben; wie ein Elefant im Raum schweben die ganze Zeit dieser Vorwurf und sein Dementi mit. Sie setzen mich, als Mitdiskutierender damit schon unter Druck.

Über Ihrem Aufruf steht folgende Aussage: Wir wollen wieder so frei leben wie 2019!
Der Satz ist, meiner Meinung nach, in seiner Naivität kaum zu überbieten.
Einerseits setzt er voraus, dass wir im Jahre 2019 frei lebten. Um dies beantworten zu können, müssten wir zunächst klären, was wir unter Freiheit verstehen, und da es mindestens so viele Erklärungsansätze für den Begriff Freiheit gibt, wie Erklärende, fällt uns schon dieses recht schwer.

Aber ich weiß ja, worauf Sie hinaus wollen, was Sie damit meinen.
Die Frage ist doch: Wird es überhaupt wieder so werden, wie es war? Oder soll es so werden, wie wir es gern möchten? Wie Sie es gern möchten?
Und wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, wenn alles wieder so wäre wie früher, Sie gehen mit keinem Wort auf die Bedingungen ein, die herrschen müssten, dass wir nach 2019 zurückkehren.
Denn wir sollten uns doch einig sein, dass es Gründe gibt für die Situation, in der wir uns befinden.
Im Übrigen hatte ich immer meine Probleme mit Leuten, die wünschen, es würde wieder so werden wie früher.

Mein größter Kritikpunkt also an diesem Aufruf ist, dass Sie keine Alternativen nennen, nicht eine. Sie vermitteln den Eindruck, dass man mit einem Handstreich die Beschränkungen, die ja nicht ohne Grund herrschen, rückgängig machen und damit quasi die Uhr zurückdrehen kann. Dass die Freiheiten zurückgegeben werden und, ohne Nebenwirkung sozusagen, kehrt das Leben zurück, wie wir es bis vor kurzem kannten.
Sie sagen an keiner Stelle, dass es Notwendigkeiten gibt, gute Gründe für diese Restriktionen. Es scheint so, als schweben diese Einschränkungen im luftleeren Raum, als seien sie nirgends zugehörig.

Und da kommen wir dann doch wieder zu der obengenannten Verschwörung:
So wie ich den Text lese, implizieren Sie zwischen den Zeilen eine wie auch immer geartete Konspiration, die darauf abzielt, unsere Freiheit zu beschneiden, um deren selbst Willen.

Sehr geehrter Herr Podiebrad!
Ich bin überzeugt, dass ich in manchen Dingen (vielleicht sogar in vielen) falsch liege, dass ich mich irre oder von unrichtigen Voraussetzungen ausgehe.
Ich wäre gespannt darauf, Ihre Sicht zu erfahren, wo irre ich, wo habe ich eventuell sogar recht?
Was könnten Sie mir sagen, damit ich besser verstehen, was mit diesem Text gemeint ist?

Wir müssen diskutieren!

Mit freundlichen Grüßen
Jens Behn

19.02.2021

Wie sich Empörung nutzen lässt

 In einem Spiegel-Interview vom 12. Februar 2021 wird der Fraktionschef der Grünen im Bundestag zu der Aussage getrieben: Der Bau von Eigenheim muss in Zukunft auf die eine oder andere Weise beschränkt werden.

Damit hat man wieder mal genügend Wind dreingegeben, um ein kräftiges Rauschen im Blätterwald zu erzeugen (und nicht nur da).
Obwohl nur ein laues Lüftchen dafür vorhanden, geht doch ein Sturm der Entrüstung durchs Land:
Die Grünen wollen uns das Eigenheim verbieten, Verbotspartei, Öko-Diktatur, Veggie-Day, fünf Mark für den Liter Benzin!
Kaum etwas davon trifft zu, allerdings sind das natürlich griffige Parolen, hinter denen sich wenigstens diejenigen verstecken können, die einer sinn- und gehaltvollen Diskussion aus dem Wege gehen (eine Diskussion in punkto Eigenheim, Zersiedelung und Flächenfraß wäre allemal lange überfällig!).

Zwei Mechanismen greifen bei dieser medialen Schlacht. Zwei Mechanismen, denen wir in den nächsten Monaten verstärkt begegnen werden (im September ist Bundestagswahl, mehrere Landtagswahlen und auf dem Weg dorthin noch drei Landtags- und zwei Kommunalwahlen):

Das Empörungsrecht!
Jeder Deutsche hat das Recht, sich zu empören! Und wenn er das tut, dann ist es gestattet, das Hirn weitestgehend auszuschalten, Fakten vollständig zu ignorieren und nur noch auf sein sogenanntes »Bauchgefühl« zu hören. Bauchgefühl kann man auch wahlweise ersetzen durch Intuition, »gesunder Menschenverstand« oder »Das ham wir doch immer gewusst«.
Ein Mechanismus wird daraus, wenn diese Empörungsspirale (übrigens ist immer der andere Schuld, man empört sich nie, niemals! über sich selbst) künstlich angefacht wird. Es gibt etliche Beispiele dafür, vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an den WDR-Kinderchor, der von der Oma sang, die im Hühnerstall ... und so weiter. Das Empörungspotential war enorm, am Ende wusste kaum noch einer, worum es wirklich ging außer, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Zwangsgebühren dafür verwendete, die alte Generation zu verunglimpfen.
Die Stoßrichtung war klar, Argumente suchte man vergebens, als die Diskussion dann schließlich abgeebbt war, blieb bei vielen das dumpfe Gefühl, der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehöre endlich abgeschafft!

Und natürlich kann man sich wunderbar über die Reaktionen damals aufregen (der Autor dieses Textes versucht gerade, nicht in dasselbe Muster zu verfallen), das gehört dann zum Spiel dazu, ist eingepreist und wird auch gelegentlich provoziert. Fein, darüber kann man sich dann auch wieder aufregen.

Sinn des Ganzen ist es, ein Thema auf bestimmte Weise zu framen und mit den jeweiligen Empörungsspiralen am Kochen zu halten.

Unmittelbar mit diesem Phänomen zusammen hängt die Technik des »ich trau dir alles zu!«
Dabei geht es darum, den Kontrahenten der maximalsten Einstellung zu bezichtigen, das krasseste Ziel zu unterstellen:
»Die Grünen wollen uns das Eigenheim verbieten!«
Obwohl niemals die Rede davon war, Betriebe zu »enteignen«, warf man dem damaligen Juso-Vorsitzenden genau das vor: Er wolle BMW verstaatlichen und damit den Sozialismus in Deutschland einführen (siehe diverse Blätter von 2019 [Welt, Bild, etc.]). Doch genau davon war nie die Rede, aber der Vorwurf war im Raum und niemand scherte sich darum, ob er stimmte.

Diese Strategie lässt sich auch bestens im Privaten anwenden, meist geschieht das sogar unbewusst, aus einer gewissen Empörungshaltung heraus.
Die Linken wollen alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen, die Rechten wollen die herrschende Ordnung zerstören, die Radfahrer wollen das Auto verbieten (aktuell sehr schön an der Debatte um das Volksbegehren »Berlin autofrei« zu beobachten), die Liste ist beliebig verlängerbar.

Beide Phänomene hängen unmittelbar miteinander zusammen, beide können und werden von bestimmten Stellen zu bestimmten Zwecken und zu bestimmten Anlässen immer wieder stimuliert: um die öffentliche Debatte auf einen Weg zu bringen, der genehm ist.

Und es gibt nur eine Lösung dafür, jedenfalls für den, der eine Lösung sucht:
Zuhören und den anderen ernst nehmen in seinem Menschsein. Sich informieren, was wirklich geschah, was gesagt wurde; wie etwas gemein war, welche Argumente auf der anderen Seite sind.
Wenn man das tut, wenn man sich selbst etwas zurücknimmt, dem anderen Fragen stellt, ihm zuhört und auch mal annimmt, das er Recht haben könnte, entspannt sich die Situation etwas.

Aber ich fürchte, zu wenige sind an Abrüstung interessiert, wollen lieber auf den Zug der Erregung aufspringen.
Oder eben jenen Zug am Rollen halten.

11.01.2021

Update zum 06.01.

Untenstehender Text (vom 06.01.) wurde geschrieben, bevor es in Washington zu den unseligen Aktionen kam, die vielleicht (hoffentlich, aber wahrscheinlich nicht) einen Schlusspunkt bilden zum Wirken des Donald John Trump.
Selbsternannte Aktivisten versuchten das Capitol, Sitz des Kongresses, der Legislative der Vereinigten Staaten von Amerika, einzunehmen und, wenn man Insidern glauben will, Kongressabgeordnete als Geiseln zu nehmen und schlussendlich sogar zu töten.

Ich wusste in dem Moment, in dem ich die Gedanken postete, also nichts von den späteren Aktivitäten. Und doch hätte man es wissen können, zu viele Hinweise gab es.
Sehr viele Menschen äußerten und äußern sich zu den Geschehnissen, ein jeder versucht, sie zu deuten, eine große Menge beginnen, die Fälle zu instrumentalisieren. Von »Sturm auf das Capitol«, »Angriff auf die Demokratie« ist vielfach die Rede. Und das alles mag auch stimmen.
Doch kaum einer – man muss suchen in dem Stimmengewirr – beschäftigt sich in aufrechter Weise mit den Tätern.

Ich bin immer der Überzeugung gewesen, ob es sich um Terroristen handelt - 11. September 2001, Halle 2019, Hanau 2020 – oder um Kriminelle, wie die Straftäter von Köln, Sylvester 2015 oder die Randalierer von Stuttgart letzten Jahres, man muss sich ernsthaft mit den Tätern beschäftigen (ja, sicher, man darf die Opfer nie vergessen). Man muss das Geschehene nicht verstehen oder gar gutheißen, doch die Mechanismen, die zu den Taten führten, die Umstände und Verhältnisse sollte man erkennen und nachvollziehen können. Es bringt überhaupt nichts, zu sagen: Das sind alles Idioten, die sind nicht richtig im Kopf. Damit grenzt man sich nur allzu wohlfeil ab und stellt sich auf die Seite der Guten.

Wenn man aber davon ausgeht, dass solche Taten Menschen begangen haben, Menschen wie du und ich – im weitesten Sinne – dann muss man auch zugeben, unter bestimmten Umständen, in ganz gewissen Situationen könnte es sein, dass auch ich ähnlich reagiere, dass eine Vielzahl von Personen ähnlich reagieren könnte. Und um auszuschließen, dass das passieren könnte, beschäftige ich mich sehr oft und ausführlich mit den Tätern.

Ein lesenswerter Artikel, auch wenn er nicht bis in die allerletzte Tiefe führt, stammt von Elmar Theveßen, Korrespondent des ZDF in Washington:

06.01.2021

Happy Sinnsuche!

(Gesundes Neues!)

Da sind wir also angekommen im Jahre 2021, und alles scheint verrückt geworden. Wir taumeln durch die C-Krise und niemand, wirklich niemand vermag zu sagen, a) wann und b) wie wir da rauskommen. Wir starren gebannt auf Zahlen, richten tatsächlich unser Verhalten danach aus (außer natürlich die neuen Helden unserer Zeit, die das Denken erfunden haben) und hoffen wie Kinder im Dunkeln, dass wir irgendwann den Ausgang finden.
Nicht dass das anders machbar wäre, dieses »Fahren auf Sicht« ist wohl die einzige Möglichkeit, Opfer zu minimieren.

Doch für immer mehr Menschen wird es immer klarer: Die Zeiten ändern sich, wir stehen in der Tat mitten in einer Zeitenwende.
Menschen, die in einer Zeitenwende standen, wussten das nicht – schau sich einer die Erfindung des Buchdrucks an, die Reformation, die Aufklärung, die Industrialisierung – erst hinterher wird solch eine Ära definiert.
Was werden die Nachgeborenen über unsere Zeit sagen? Welche Begriffe werden sie benutzen, um unser Verhalten zu definieren.

Ich persönlich denke ja, dass zwei Begriffe ganz vorherrschend sein werden: Tribalismus und Framing.
Tribalismus als Stammesdenken hängt uns evolutionär immer noch auf den Schultern, jeder versucht Anhänger einer Gruppe zu sein (schau ins Netz, die sozialen Medien, und du weißt, dass der Trend hin zur Zweit-, Dritt- oder Viertgruppe geht). Und wenn du in einer Gruppe verankert bist (nenn‘ es Stamm, Partei, Bewegung, Bündnis, what ever ...), dann wirst bestrebt sein, dich dieser Gruppe anzupassen, ihr nachzueifern und natürlich findest du gut, was diese macht. Du wirst dich ihr bis zu einem bestimmten Punkt ausliefern (natürlich wirkt der Tribalismus bei jedem verschieden, und auch bei jeder Gruppe, manch einer ist anfälliger, der andere weniger; und auch die Gruppen [es stehen ja unzählige bereit] sind mehr oder weniger attraktiv).

Wenn wir nach Amerika schauen, wird uns der schädliche Einfluss des Tribalismus bewusst: Es wird nicht mehr nach Fakten und Wahrheiten gelebt, sondern nur noch, was die Gruppe vorgibt. Damit ist nicht nur die Gruppe »Trump« gemeint, obwohl natürlich die Anhänger des Noch-Präsidenten der USA ein besonders krasses Beispiel bieten. Der Ober-Pavian der Gruppe sagt, die Wahl zur Präsidentschaft sei gefälscht und die Anhänger gehen auf die Straße und bringen abstruseste »Beweise« für die Behauptung.
Es geht nur noch um – Achtung! Trommelwirbel!!! – »gefühlte Wahrheiten«, Bauchgefühl, »das haben wir immer schon gemacht!«. Argumente des »Gegners« (das heißt, Anhänger der anderen Gruppe) werden überhaupt nicht mehr ernst genommen, es existiert nicht einmal mehr die Möglichkeit, dass der andere recht haben könnte.
Vielleicht hat dieses bedingungslose Anhängen an verschiedene Gruppen damit zu tun, dass vieles weggefallen ist in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, im Besonderen religiöse Gruppen und Sinnstifter. Vielleicht suchen wir uns neue Gruppen; nachdem es den Ost-West-Konflikt nicht mehr gibt, fühlen wir uns dem »Westen« zugehörig und müssen uns gegen die »Islamisierung« wehren.
Die Anderen, die Fremden.

Hand aufs Herz, welcher Gruppe gehören Sie an, außer vielleicht dem Angelverein, der Kleingartensparte oder dem örtlichen Buchclub?
Doch Gruppenzugehörigkeit ist normal, wie gesagt, evolutionär vorgegeben. Die viel wichtigere Frage lautet: Wann haben Sie sich das letzte Mal von jemandem vom Gegenteil überzeugen lassen? Wann haben Sie die Argumente Ihres Nachbarn ernst genommen, auch wenn der was völlig Konträres zu Ihrer Meinung behauptet?
Einige kleine Gedanken darüber habe ich mir 2010 schon hier gemacht:

Framing (von engl. frame, »der Rahmen«) ist der Prozess einer Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsraster. (Quelle: www.wikipedia.org)
Deutungsrahmen, das ist das Zauberwort. Wir bringen alle Informationen, die auf uns einstürmen in einen bestimmten Rahmen, (Das sind nicht wenige Informationen, in früheren Zeiten hatten die Menschen einen erheblich geringeren Input.), alle Bits und Bytes, die wir aufnehmen, sind in irgendeiner Weise mit Leben gefüllt.
Wenn wir einen Dokumentarfilm sehen, in dem das elende Dasein einer abgezehrten, erschöpften Legehenne dargestellt wird und denken im Anschluss an ein Hühnerei, sehen wir das mit anderen Augen, als wenn man uns Bilder einer fröhlich gackernden Bauernhofidylle zeigt.

Wer einen Politiker in einem schlechten Licht darstellt, framt ihn, wer ihn in gutem Licht darstellt, framt ihn ebenfalls.
Eigentlich framen wir den ganzen Tag und lassen framen, wir sind drauf angewiesen und verwenden geframte Inhalte.

Doch man kann diese Methode nutzen, um eigene Ziele zu erreichen und gleichzeitig diese Ziele zu verschleiern. Natürlich wird diese Strategie schon immer benutzt, seitdem Menschen kommunizieren, sich über Dinge austauschen, framen sie.
»Das Mammut ist gefährlich.«, »Diese Beeren schmecken wunderbar!«, »Bill Gates will uns alle vernichten!«
Die Frage ist, wie offen wird diese Taktik angewandt und wie weit hinterfragen wir als Rezipienten dieses Framing.

Ganz sicher haben die »Sozialen Medien« in Sachen Framing eine Katalysator-Funktion. Jeder und alle können framen und tun das reichweitenstark. Wer will, kann sich über alles und jeden informieren, doch tun wir das in ausreichendem Maße?

Frage: Wann haben Sie das letzte Mal ein Framing übernommen, ohne es hinterfragt zu haben? Wie weit beruhen Ihre Urteile auf Vorurteilen.

Wenn wir diese Fragen und die oben offen beantworten, aus den Antworten unsere Schlüsse ziehen und danach handeln, kann es sein, dass unsere Nachfahren etwas milder über unsere Zeit sprechen werden.
In diesem Sinne: Gesundes Neues an alle!

09.07.2020

Die Autoritäten sind müde

Die C-Krise hat uns nun seit einigen Monaten im Griff, Auswirkungen auf die Wirtschaft sind enorm, auf das soziale Leben ebenso.
Wie werden wir herauskommen, wie wird sich die Welt zeigen nach der Pandemie. Dass die Seuche noch lange nicht bezwungen ist, zeigt sich aktuell in Amerika, Brasilien und nicht zuletzt in Israel.

Umso wichtiger wäre es, durchzuhalten mit den Maßnahmen, welche die Krankheit, oder besser ihre Ausbreitung einzudämmen hilft.
Abstand wahren, Hände waschen, Mundschutz, keine Menschenansammlungen. Eigentlich ganz einfach. Eigentlich simpel in der Umsetzung.
Natürlich ist vieles gut gelaufen in der Krise, siehe Deutschland. Wenn ich das richtig sehe, hat Deutschland enorm vom rechtzeitigen Eingreifen profitiert. Doch allmählich (Quatsch, natürlich ziemlich rasant!) macht sich die Corona-Müdigkeit breit, Widerspruch regt sich überall. Die Aussagen der Experten werden massiv in Zweifel gezogen.

Woher kommt das allgemeine Misstrauen gegenüber Autoritäten?
Mit Autoritäten meine ich Fachleute, ausgewiesene Fachleute, die auf einem Feld mehr Wissen haben, als der Durchschnitt der Bevölkerung. Neuerdings (oder vielleicht auch nicht neuerdings) wird von allen alles angezweifelt, was die Wissenschaft hervorbringt.

Damit meine ich weniger die »Flat-Earth«-Vertreter oder Flugscheibenanhänger, Chemtrails-Gläubigen und Neuschwabenland-Spinner.
Es ist noch nicht allzulange her, da gab es eine Reihe Lungenärzte, die Grenzwerte in Zweifel zogen.
Nun sind Grenzwerte eine politische Entscheidung, Wissenschaftler arbeiten da nur zu mit ihren Erkenntnissen. Aber Lungenärzte sind keine Wissenschaftler; als es um das Thema Grenzwerte ging, waren sie genauso viel oder wenig Experte in dem Bereich wie der Toilettenmann in den Spandauer Arkaden oder Dieter Bohlen. Warum aber wurden sie in dieser Situation von einer großen Mengen Menschen als »Autoritäten« auf diesem Gebiet wahrgenommen?
Warum wird ein leidlich prominenter Koch der veganen Küche als Experte auf dem Gebiet der Immunologie anerkannt. Von nicht wenigen Menschen. Es muss doch ein Kriterium geben, nach dem man geht, und das einen dann zu dieser Nase führt.

Ich fürchte, wir haben es hier wieder einmal mit interessegeleiteter Argumentation zu tun. Ich nehme mir den Experten, der mir das Ergebnis bringt, das ich gern möchte.
Ich fahre Diesel, die Deppen von der Umwelthilfe wollen Fahrverbote für mein Autoaufgrund der Abgaswerte durchsetzen? Aber da gibt es doch die Lungenärzte, die sagen, dass die Grenzwerte Mumpitz seien. Die nehm ich, die sind kompetent.

Maskentragen ist mühsam. Ach, da gibt's doch diese »Experten«, die sagen, dass Mundschutz nichts bringt; die nehm ich.
Ich sage damit nicht, dass Mundschutz etwas bringt in der Bekämpfung der Pandemie, die Faktenlage ist unübersichtlich. Ich sage aber auch nicht, dass Masken nichts bringen, und wenn es sein könnte, dass man die Verbreitung eindämmt, indem man Masken trägt, dann werde ich Maske tragen, weil ich immerhin etwas tun kann für meine Mitmenschen.

Ganz sicher spielt der Rückgang der Religion in unserer Gesellschaft eine Rolle; die Lücke, welche die Kirche lässt, möchte ausgefüllt werden. Neue Autoritäten werden gesucht.

Aber warum, verdammt nochmal, kann man sich nicht die Leute als Autorität aussuchen, die was von ihrem Fach verstehen und ihre eigenen Interessen hintanstellen?

21.01.2020

Gesundes Neues 2020!



So, das gleiche Ritual wie letztes Jahr:
Gesundes Neues, mein Lieber! Stößchen auf das neue Jahrzehnt, ich hoffe, das wird genauso gut wie das letzte!

Denken wir nur für den Moment einmal etwas tiefer nach, wissen wir, da ist was falsch. Neues Jahrzehnt, Schwachkopf? Natürlich nicht!
Egal, was man Ihnen in diesen Tagen weißmachen will, das neue Jahrzehnt, die Zwanziger also, die fangen erst am 01.01.2021 an. Klar, die Zeitrechnung, also das erste Jahrzehnt, begann mit dem Jahr 1. Nicht mit dem Jahre 0.
Das neue Jahrtausend begann im Jahre 2001, obwohl alle am 31.12.1999 wie wahnsinnig geworden das neue Millennium begrüßt haben.
Sei es drum.
(Ein Vorsatz, nämlich weniger klugzuscheißen, schon mal gebrochen. Läuft!)

Was forderte ich in meiner Neujahrsansprache 2019? Wie viel davon ist eingetroffen, was haben wir verpasst?
Nichts eingetroffen, könnte man sagen, alles verpasst.

Was also habe ich mir in meiner Naivität auf die To-do-Liste 2019 geschrieben gehabt:
Eine neue Kultur der Diskussion.
Allen Unkenrufen zum Trotz: Ich glaube dran. Und ich glaube auch, dass es machbar ist und dass sich gerade im kommenden Jahrzehnt etwas wandelt. Dass es hier und dort Leute gibt, die gierig sind auf Argumente, auch wenn sie vom Gegner kommen, die Fakten wollen, Tatsachen.
Das heißt nicht, dass es keine Idioten gibt, keine hirnlosen Whats-App-Videos, in denen sich Spinner darüber aufregen, dass wir Altersarmut haben und dann anfangen, über wirklich alles herzuziehen, was sie nicht verstehen oder verstehen wollen.

Dass das mal klar ist: Mich regt Altersarmut auch auf, wahrscheinlich mehr, als viele andere, die darüber schreien. Aber, ich schreie nicht darüber und ich versuche, die wahren Ursachen zu ergründen, ohne Schaum vor dem Mund und ein Brett vor dem Kopf. Das heißt, ich hetze nicht sinnlos gegen Andersdenkende, gegen die da oben und die Scheiß Linken.
Abgehakt!
Ich glaube doch, dass es immer mehr ernsthaft denkende Menschen gibt hier in diesem Land, trotz Meckerplattformen wie »Fridays for Hubraum«.

Ein zweiter frommer Wunsch, den ich vor einem Jahr hegte: Bescheidenheit in Anbetracht unseres immer noch ungeheuren Reichtums.
Na, das war wirklich ein frommer Wunsch, ein dummer. Denn die Ressourcenverschwendung, wie sie seit vielen Jahren immer mehr wird, hat sich auch im vergangenen Jahr nicht verringert.
Die Adventszeit liegt eben hinter uns. Was wir uns dabei – Lichterketten-technisch gesehen – geleistet haben, ist, denke ich, noch einen Zacken schärfer gewesen, als 2018. Ich will nicht wieder mit der alten Leier anfangen, dass eine einzige Kerze erheblich eindrucksvoller ist als eine blinkende Lichterkette, und womöglich auf die schädlichen Nebenwirkungen der Lichtverschmutzung für (unter anderem) die Natur eingehen.
Vielleicht folgender Gedanke: Wir werden über kurz oder lang unsere Energieerzeugung umstellen müssen. Ob auf erneuerbare oder andere CO2-neutrale Formen sei dahingestellt.
Dass wir aber eine ganz andere Form der Energieerzeugung nutzen müssen, nämlich die Energieeinsparung, das hört man von vielen relevanten Experten. Wir werden nicht umhinkommen, die überflüssige Lampe während der Nacht auszuknipsen. Vielleicht die Heizung einen Gang runterschalten oder das Auto mal stehen zu lassen.
Technologische Lösungen dafür wird es nicht geben, auch wenn manche einer diese wie den Heiland erwartet.
Ich erinnere hier nur an den

Was war noch?
»Geiz ist geil«, hatte ich gehofft, würden wir seltener sehen. Gut, das war auch wieder ein sehr frommer, nicht zu erfüllender Wunsch.
Von überall her schreien uns die Plakate an: Billiger! Sale! Zugreifen! Und wir machen alle willig mit.

Doch sehr lange geht das nicht mehr gut, denke ich. Das neue Jahrzehnt (lassen wir uns mal darauf ein) wird ganz sicher ein Jahrzehnt des Verzichts werden. Ich höre schon wieder die Wohlstandswahrer: Verzicht! Diktatur! Öko-Stalinisten!
Super Framing an dieser Stelle. Man müsste zunächst einmal sinnvoll klären, was wir (im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners) unter Wohlstand verstehen. Da gibt es sicher enorme unterschiedliche Auffassungen und einen ebenso großen Gesprächsbedarf. Aber eben das. Man müsste drüber reden.
Doch das tun wir nicht. Stillschweigend nehmen wir Konsumenten an, dass immer mehr Konsum gleichzusetzen ist mit Wohlstand.
Wenn das aber so ist, und gleichzeitig Konsens ist, dass die Konsumgüter irgendwoher kommen müssen (ich meine damit nicht, dass sie produziert werden, sondern die Mittel, welche für die Produktion notwendig sind, müssen ja auch von irgendwoher kommen!), dann kommt man darauf, dass entweder der Wohlstand endlich ist, irgendwann Schluss ist mit noch mehr Wohlstand. Oder wir beginnen, die Konsumgüter irgendjemand anderem wegzunehmen, als denjenigen, die wir jetzt bestehlen.

Ach, es wird schon ein tolles Jahrzehnt werden, das ist klar. Nicht für jeden, sicherlich. Aber hoffentlich für uns.
(mal ein wenig Ironie zum Abschluss!)

Prost!