Ich muss zugeben, ich hatte den Schriftsteller Arthur Koestler bis zu dem denkwürdigen Spiegel-Artikel 2018, in dem die Neuausgabe des Romans »Sonnenfinsternis« gefeiert wurde, nicht auf dem Schirm. Nie was von gehört, man sieht sehr gut daran, dass es für jeden in der Literaturgeschichte enorm viel zu entdecken gibt.

Koestler lebte von 1905 bis zu seinem Freitod im Jahre 1983, er war gebürtiger Ungar, wuchs deutschsprachig auf, immer auf Reisen, bis es ihn über Moskau, Frankreich, Spanien nach England verschlug, in dessen Sprache er dann auch seine späteren Romane schrieb. Er stellte sich zunehmend als Lebemann und Frauenheld dar, im Alter erkrankte er an Parkinson und Leukämie.
Als er 77 Jahre alt ist, setzt er seinem Leben aus Überzeugung ein Ende.

Das Manuskript zu »Sonnenfinsternis« entstand ursprünglich auf Deutsch von 1938 bis 1940 und sollte »Rubaschow« heißen, das Original war jahrelang verschollen, wurde erst 2014 wiederentdeckt und dankenswerterweise im Elsinor-Verlag neu aufgelegt. Alle Ausgaben vorher basierten auf einer englischen Übersetzung, so dass die deutschen Auflagen immer Rückübersetzungen waren. »Darkness at the noon« im Englischen hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich.

Der Roman handelt - wie gesagt, erschienen 1940 – in kaum verbrämter Weise von den Schauprozessen, die in den dreißiger Jahren unter Josef Stalin in der kommunistischen Sowjetunion abgehalten wurden. Stalin wollte damit in beispielloser Art ehemalige Weggefährten, die teilweise noch gemeinsam mit Lenin gekämpft hatten, beseitigen, wohl weil sei ihm gefährlich zu werden drohten, wahrscheinlich war aber auch eine gehörige Portion Paranoia im Spiel.

Koestler nun, ehemaliger Kommunist, interessiert sich für die Frage, wie gestandene Männer so weit verbogen werden können (wobei »verbogen werden« ein Euphemismus ist und physische und psychische Folter meint), dass sie vor Gericht und unter Eid die absurdesten Anschuldigungen zugeben, sich selbst mit haarsträubenden Geständnissen belasten und sich letzten Endes so dem sicheren Tod übergeben.

Er entwirft dafür den titelgebenden Nicolas Salmanowitsch Rubaschow, ein Destillat aus verschiedenen Alt-Revolutionären, wie Karl Radek oder Alexei Rykow, die in der der Oktoberrevolution und teilweise auch schon in der Russischen Revolution von 1905 gekämpft hatten, und lässt ihn verhaften und in ein Foltergefängnis verbringen. Hier nun muss Rubaschow zunächst die Einsamkeit mit quälenden Erinnerungen und Selbstzweifeln und im Laufe der Handlung drei Verhöre über sich ergehen lassen.

Die Verhöre werden zunächst von Iwanoff, einem alten Weggefährten, der recht schnell ebenfalls verhaftet und schließlich exekutiert wird, später dann von Gletkin geführt, der ein gnadenloser Karrierist und Emporkömmling ist.

Nun, auch Rubaschow wird hingerichtet werden, und gesteht vorher die absurdesten Dinge, von denen er selbst weiß, dass sie unsinnig sind. Eigentlich weiß jeder das, selbst die Verhörenden sind im Bilde. Doch warum gesteht er, warum belastet er sich mit irrwitzigen Aussagen?
Koestler hat die Deutung als »Rubaschow-Theorie der Geständnisse« angelegt, in den Vierziger und Fünfziger Jahren waren sie Thema sehr kontroverser Debatten in Frankreich und England. Gerade die Kommunisten in Frankreich waren nicht Willens oder fähig, den wahren Charakter der Schauprozesse Stalins anzuerkennen, und bekämpften Koestlers Buch mit allen Mitteln.

Der Roman ist ein schillernder Parforceritt durch Rubaschows Martyrium. Schillernd deshalb, weil Koestler ein blitzgescheiter, rücksichtsloser Denker ist.
Rubaschow flaniert durch sein Leben und wird dabei gewahr, dass er eben noch auf der anderen Seite stand und für den rücksichtslosen Tod von mindestens drei Menschen verantwortlich ist. Warum, fragt er sich, welchen Grund gab es dafür?

Und hier ist wohl die Kernaussage des Buches zu finden:
 
Dann erklärte er uns, daß Nummer Eins keine individuelle Zufallserscheinung sei, sondern die Verkörperung einer allgemeinen Tendenz – nämlich des absoluten Glaubens an die eigene Unfehlbarkeit, der die Kraftquelle seiner totalen Skrupellosigkeit sei.
(S.188)

Und das ist absolut! Egal welch totalitäres Regime wir nehmen, das einzig Falsche daran ist immer, immer und immer die Überzeugung des Diktators, das richtige zu wissen, zu tun und zu wollen. Ohne gegenteilige Meinungen.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Leider habe ich eine Ausgabe von Bertelsmann aus dem Jahre 1973 erhalten, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich um die neueste, auf Basis des Originalmanuskriptes herausgegebene bemühen werde, um den Roman noch einmal zu lesen.
Er ist spannend, ohne Frage. Lehrreich und anregend, eröffnend und tiefschürfend.

Und aktuell!