Thomas Olde Heuvelt: November

(Quelle: eigene)
Der niederländische Autor Thomas Olde Heuvelt ist so etwas wie der Shooting-Star in der Horror-Literatur; er wird wahlweise als der neue Stephen King oder als »literarisches Phänomen«
bezeichnet.
Ich kam durch Zufall auf den Erstling des 1983 Geborenen, da ich selten noch nach Horror-Romanen suche. Der Roman »Hex« von Heuvelt erschien 2013 und wurde in den Niederlanden ein Bestseller,
begründete seinen Erfolg als moderner Horror-Autor.
Im Jahre 2022, nach dem zweiten Roman »Echo«, erschien der knapp 640 Seiten starke Roman »November«; hier führt Heuvelt seinen Stil weiter und baut ihn, teilweise voluminös, aus.
Wenn es ein Wohnviertel gäbe, dessen Einwohner vom Glück geküsst wären, wie viel wären diese Einwohner dann bereit, für dieses Glück, das einem dann irgendwann zuzustehen scheint, in die
Waagschale zu legen? Was kostet es, ein Leben in Zufriedenheit und Wohlstand zu leben, wie hoch sind die Kosten und würden wir sie bezahlen?
Denn jedes Jahr im November muss der Preis entrichtet werden, die Bewohner von Lock Haven, »einer beschaulichen, kleinen Stadt in Washington State«, werden zur Kasse gebeten für ihr Glück und
müssen ein Opfer bringen.
Wir folgen in diesem Roman in der Hauptsache der Familie Lewis da Silva – Mutter, Vater, 15-jährige Tochter und 10-jähriger Sohn – über mehrere Jahre ihres glücklichen Daseins, einschließlich der
beiden November, die den Pay-Day und die »Dunklen Tage« bringen.
Heuvelt versteht es, vor unseren Augen das Familien-Leben aufzufächern, dazu taucht er kapitelweise in den Kopf eines der Familienmitglieder ein und es gelingt ihm gut, verständlich zu machen,
was den Einzelnen antreibt.
Man spürt die Arbeit, die in jeder einzelnen Seite des Romans steckt, ohne Frage haben wir hier einen Autor mit Talent und Durchhaltevermögen vor uns und wenn es einem gelingt, in die Handlung
einzutauchen, dann ist man für 70, 80 Seiten wirklich gefesselt. Das ist faszinierend, aber spätestens nach 400 Seiten stellen sich Ermüdungserscheinungen ein, man muss nicht die x-te
Beschreibung des Gefühlslebens von Ralph, dem Familienvater vor Augen geführt bekommen, irgendwann hat man die Emotionen des Mannes satt und verlangt nach ein wenig Handlung.
Die Stärke des Romans ist gleichzeitig seine Schwäche, wenigstens nach meiner unmaßgeblichen Meinung; denn irgendwann begann ich ganze Absätze zu überfliegen, Seiten nur noch querzulesen, weil
ich mir denken konnte, was geschildert wurde, die ausufernden Beschreibungen wurden nach und nach zu viel.
Die moralischen Dilemmata werden auch nur angerissen, hin und wieder spürt man, was aus diesem Roman hätte werden können, wenn sich der Autor auf die philosophische Ebene begeben hätte (das ist
mir in seinem Erstling »Hex« schon aufgefallen, dass faszinierende Probleme geschaffen werden, aber nicht in der letzten Konsequenz durchgespielt werden).
So ist »November« leider nur ein weiterer Spannungsroman geworden (die Prämisse, dass alle Menschen »Schweine« sind, ist leider etwas dürftig), der aber seine Spannung bis zu einem gewissen Maße
clever auszuspielen weiß.
Immer noch ein Horror-Roman, der sich vom üblichen Einheitsbrei abhebt und in diesem Sinne eine klare Leseempfehlung darstellt.