Das Büchlein »Stella« von Takis Würger fiel mir bei einem Streifzug durch die örtliche Leihbücherei in die Hände. Es stand verschämt an unterster Stelle der Neuerwerbungen, in einem Regal mit Paul Auster, Colson Whitehead und Andreas Franz/ Daniel Holbe(!).
Hätte ich das Geschrei nicht mitbekommen (am Rande), das um diesen Roman gemacht wurde, wäre es mir sicher nicht ins Auge gefallen, zumal der Bücherstapel auf meinem Nachtschrank einfach nicht kleiner werden will.
Der Roman »Stella« hat fast ausnahmslos Verrisse in der deutschen Presselandschaft erhalten, auch wenn auf seiner Rückseite eine Empfehlung von Daniel Kehlmann prangt.
Ich habe versucht, an das Werk vorurteilsfrei heranzugehen, auch wenn das natürlich illusorisch ist, aber der Wille war da.

Worum geht es, muss noch darüber geschrieben werden?
Der junge Friedrich, ein Schweizer, aus einer dysfunktionalen Familie, geht 1942 nach Berlin, um das Leben kennenzulernen.
Wen er kennenlernt, ist Kristin (später dann Stella), die nackend vor ihm sitzt und erstmal gehörig Eindruck auf den Ungeküssten macht. Der Ort ist eine Kunstschule und Stella sitzt Modell für ein Aktbild.
Sie kommen zusammen – Liebe, Tragik, Herzschmerz – alles in großen Tönen, aber immer nur angerissen.
Später dann das Geständnis: Ich habe dir was verheimlicht.

Stella Goldstein ist eine historische Figur. Selbst jüdischen Glaubens hat sie in den Anfang 1940er Jahren, zahlreiche untergetauchte Juden an die SS verraten und dem Tod zugeführt, um so ihre Eltern zu retten, die ebenfalls von der SS gefangengehalten wurden.

Ganz schlidderiges Terrain! Wirklich, wer sich daran traut, muss schon was können. Denn damit diese Szenerie nicht als Selbstzweck dient (und womöglich dem gierigen, wohligen Schauder des Publikums), ist es nötig, die Figuren mit Leben zu füllen, mit Widersprüchen, Zweifeln, Ängsten.
Die Gefahr ist groß, eine Alibi-Veranstaltung aufzubauen, bei der es nur Plakate gibt.

Ist dem Autor gelungen, den Personen Leben einzuhauchen?
Nein.
Es wird mit großen Sätzen, mit großen Wahrheiten um sich geworfen, Sätze, denen man nur in Romanen oder Filmen begegnet. Und das ist schon ein schlechtes Zeichen. Ich möchte Charaktere haben, die leben, denen ich in meinem Dasein begegnen könnten. Denn dadurch kann ich sie eventuell verstehen, kann ihre Handlungsweisen wenigstens nachvollziehen und im günstigsten Falle sogar etwas für mein eigenes Leben mitnehmen.

Was bringt eine junge Frau dazu, andere Menschen in den sicheren Tod zu schicken, warum tut sie das, wie geht sie mit der Schuld um? Wie geht ihr Freund mit der Schuld um?

Ich muss ehrlich sagen, ergriffen war ich an manchen Stellen der Prozessakten, die der Autor eingestreut hat. Am Beginn jedes Abschnitts werden Zeugen zitiert, die in dem Prozess gegen Stella ausgesagt haben. Dann führt er historische Details und Ereignisse aus den jeweiligen Monaten der Handlung auf.
Das waren dann die spannenderen Teile des Romans. Die Geschichte, die zwischendurch weiterläuft, ist seltsam reibungs- und widerstandslos. Es geht alles voran, wie ein Uhrwerk, nach einem bestimmten Plan gezeichnet.

Auch weiß ich nicht, was den Autor bewogen hat derart stakkato- und skizzenhaft vorzugehen. Es war manchmal extrem ärgerlich, wie kurz viele Szenen abgehandelt wurden.
Mutet er dem Leser oder seinem eigenen Talent zuviel zu?

Alles in allem hat man von einer historischen Figur erfahren, hat gehört, was sie getan hat, aber warum sie es tat und die Auswirkungen für sie selbst, davon habe ich nicht viel gelernt.
Nichtsdestotrotz steht der Roman noch immer auf der Spiegel Bestsellerliste. Über Geschmack lässt sich bekanntermaßen streiten.